Es war ein ganz normaler Freitag Mittag, als uns eine hoch tragende, stark kolikende Stute vorgestellt wurde. Schnell stand fest, dass sie unter einer massiven Verstopfung des Colon descendens (letzter Darmabschnitt) litt und eine Kolik-Operation nötig sein würde. Unser Team arbeitete mit zwei Chirurgen auf Hochtouren, um die Narkosezeit zum Schutz des Fohlens so kurz wie möglich zu halten. Es lief auch alles nach Plan und die Stute wurde in die Aufwachbox gebracht. Leider schaffte sie es trotz unserer zahlreichen Hilfsmittel, wie Aufstehseile und Hebeplane, nicht aufzustehen und brach sich während ihrer erfolglosen Aufstehversuche den Oberschenkel. Um die Stute schnell in einen schmerzfreien Zustand zu bringen, bis wir die Besitzer über diesen tragischen Vorfall informieren konnten, mussten wir die Stute wieder in Narkose legen. Weil ein Oberschenkelbruch bei einem Großpferd nicht operiert werden kann, stand nun die Euthanasie der Stute an. Das Fohlen allerdings konnten wir vor Einschläferung der Stute noch entwickeln. Viel Hoffnung machten wir uns zu diesem Zeitpunkt ehrlicherweise nicht, aber wir waren voller Motivation es zu probieren, das sehr schwache Fohlen durchzubringen. Und obwohl mittlerweile offiziell der Großteil der Belegschaft bereits Feierabend hatte, zog das gesamte Team mit. Es war ein kleines Stutfohlen mit einem kräftig schlagenden Herz und auch guter Atmung. Wir rubbelten es trocken, legten einen venösen Zugang, hingen die erste Infusion an und fuhren die Kleine mit der Schubkarre in eine unserer Intensivboxen. Die nächsten Stunden verbrachten wir erstmal damit die Kleine aufzuwärmen, also wurden ständig neue Wärmflaschen befüllt, Decken geholt und wir saßen mit mehreren Leute an ihrer Seite. Zeitgleich wurde Flüssigkeit über die Infusion zugeführt, sowie Plasma, um ihr die lebenswichtigen Antikörper zuzuführen, die Fohlen sonst über die erste Muttermilch (Kolostrum/Biestmilch) erhalten. Und so langsam kam mehr Leben in die Kleine, die Augen blinzelten, der Kopf wurde gehoben und kurze Zeit später bekam sie, ihre erste Flasche Milch. Stehen konnte sie zu diesem Zeitpunkt nur sehr kurz und mit Unterstützung mehrerer Personen, aber man konnte sie in Brustlage halten und so konnte sie an der Flasche nuckeln. Jetzt wurde es also Zeit, der kleinen einen Namen zu geben. Auch wenn sie selbst davon nicht so begeistert war, waren wir (das freiwillige Fohlen-Team!) uns einig, dass der Name unserer Oberärztin Rosa Barsnick, die uns die ganze Zeit fachlich und mental zur Seite stand, mit eingebaut werden musste. Außerdem wollten wir das „C“ aus der Zuchtlinie mit verwenden. So kamen wir zu „Charming Rosalie“
Nach Mitternacht wurde das Team auf Ann-Kathrin und Carla reduziert, die den Rest der Nachtwache übernahmen. Und - tadaaa! - am nächsten Morgen stand Rosalie das erste Mal alleine auf und trank im Stehen aus der Flasche und das auch mit großem Appetit. Entsprechend groß war die Begeisterung bei unseren Helfern, die nicht widerstehen konnten, es auch so auf dem Intensivplan zu vermerken . Wir waren immer noch alle sprachlos, dass wir das geschafft hatten, doch es sollte noch ein spannender Tag vor uns liegen. Denn nun war Rosalies Besitzer gefordert, eine Ammenstute zu suchen. Gar nicht so einfach, doch mit seinem großen Engagement fand er eine Stute aus der näheren Umgebung und mit etwas Überredungskunst ließ sich der Züchter dieser lieben Stute, die zwei Tage vorher ihr eigenes Fohlen verloren hatte, auch noch davon überzeugen die Stute in unsere Klinik zu bringen. An dieser Stelle ein Riesen-Dankeschön an den netten Züchter der Stute!!!
Am Samstag Mittag machte Rosalie ihren ersten noch etwas wackeligen Ausflug über den Hof zur Waage und am Nachmittag kam die Ammenstute bei uns an. Sie machte einen sehr guten Eindruck, war aufmerksam, aber doch recht entspannt in der für sie total fremden Umgebung. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase sedierten wir die Stute leicht, was bei solchen Zusammenführungen immer ratsam ist, denn man weiß nie, wie die Stuten auf ein fremdes Fohlen reagieren! Dann kam der große Moment, und wir entschieden uns dazu, Rosalie zu ihrer neuen Mama in die Box zu führen. Sie wurde direkt von der Stute angebrummelt und untersucht. Ans Euter ließen wir die Kleine erstmal nicht, sondern gaben den beiden Zeit, sich in Ruhe zu beschnuppern. Als wir dann ein gutes Gefühl hatten, ließen wir sie auch ans Euter. Rosalie brauchte noch etwas Unterstützung beim Auffinden der Zitze, aber dann trank sie das erste Mal bei ihrer neuen Mama. Das war definitiv ein einmaliger und zu Tränen rührender Moment!
Über die Nacht mussten wir lediglich noch einmal Plasma infundieren, da Rosalie immer noch nicht genügend Antikörper bekommen hatte, wie der sogenannte „Snap-Test“ uns zeigte.
Aber das sollte uns nicht entmutigen, denn die Nacht mit der neuen Mama zusammen verlief weiterhin ganz harmonisch, und so konnte man sich langsam auch entspannen und sicherer sein, dass das auch so bleiben würde. Am Sonntag stand dann der erste gemeinsame Ausflug auf den Hof an. Rosalie war schon schneller unterwegs als am Vortag, und auch die Waage zeigte zufriedenstellende Ergebnisse an mit einer Gewichtszunahme von einem Kilogramm.
Als wir dann noch den Venenkatheter und die vorübergehend als Vorsichtsmaßnahme eingelegte Fütterungssonde entfernt hatten, sah sie langsam aus wie ein normales Fohlen. Und so frech war sie allemal. Um sich gegen ihre Antibiotikaspritzen zu wehren, ließ sie sich zum Beispiel einfach hinfallen, und ein bisschen bocken konnte sie auch schon! :-D
Und auch am nächsten Tag bei der Abholung zeigte sie, dass sie topfit war. Noch zaghaft aus dem Stall auf den Hof stacksend, legte sie plötzlich den Galopp ein und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon. Ihr Besitzer musste einen kurzen Sprint einlegen, um sie wieder einzufangen, und dann trabte sie neben ihm her im Schwitzkasten ;-) bis in den LKW.
Ein wenig zum Leidwesen von Rosalies Besitzern, aber sehr verständlich aus Sicht des Ammenstutenbesitzers, zog Rosalie mit ihrer neuen Mama in deren Zuhause, um dort aufzuwachsen. Wenn sie dann von der Mama abgesetzt wird, dürfen Ihre Besitzer sie natürlich wieder zu sich holen.
Wie man auf den aktuellen Fotos sieht geht es der Kleinen sehr gut, was uns unendlich freut, und sie ist schon jetzt unser Wunder des Jahres!!!