Atypische Weidemyopathie Fragt man einen Pferdebesitzer nach einer typischen Muskelerkrankung beim Pferd, kommt den meisten sicher zunächst der sogenannte „Kreuzverschlag“ in den Sinn. Dabei handelt es sich um eine Muskelerkrankung, die typischerweise im Zusammenhang einer Ruhephase mit folgender stärkerer körperlicher Belastung auftritt („Feiertagskrankheit“). Bei der atypischen Weidemyopathie handelt es sich ebenfalls um eine Muskelerkrankung, deren Ursache lange Zeit nicht bekannt war.
Vor einigen Jahren stellten amerikanische und belgische Wissenschaftlern dann den Zusammenhang zu einer schweren Muskelerkrankung beim Menschen her, deren Ursache in der Aufnahme der giftigen Aminosäure Hypoglycin A liegt. Daher begann man im Blut und Urin erkrankter Pferde nach diesem Giftstoff zu suchen und konnte das giftige Abbauprodukt von Hypoglycin A, das sogenannte MCPA nachweisen. Dieses Gift bewirkt, dass die Muskelzellen des Pferdes keine Energie mehr gewinnen können und somit absterben mit der Folge eines fatalen Muskelabbaus. Im nächsten Schritt begaben sich die Forscher auf die Suche nach einem Futtermittel auf der Weide, welches Hypoglycin A enthält und stießen dabei in Nordamerika auf den Eschenahorn (Acer negundo). Dieser war auf europäischen Weiden nicht zu finden, allerdings konnte man auf diesen Weiden in den Samen des Bergahorns (Acer pseudoplatanus) ebenfalls den Giftstoff nachweisen und auch den Zusammenhang mit erkrankten Pferden herstellen. Damit ist nun sehr wahrscheinlich, dass die Aufnahme dieser Ahornsamen zur Erkrankung führt und erklärt damit auch, warum immer nur Pferde mit Weidegang betroffen waren. Vorzugsweise kommt es im Herbst zur Erkrankung, da zum einen bei kälteren Temperaturen die Samen vom Baum fallen und zum anderen die Weiden großteils schon so verbissen sind, dass die Pferde beginnen die Samen aufzunehmen, was sie normalerweise als selektive Fresser nicht tun würden. Sie kann aber auch teilweise im Frühling auftreten, wenn die Samen anfangen auszutreiben.
Zu den charakteristischen Symptomen der Krankheit gehören plötzliche Schweißausbrüche, Apathie, Steifheit, Schwäche, Muskelzittern und erhöhte Atem- und Herzfrequenz. Betroffene Pferde haben große Schwierigkeiten sich nach dem Hinlegen wiederaufzurichten und bleiben oft einfach liegen. Dadurch kommt es schon mal zu Verwechslungen mit Koliksymptomen. Besonders auffallend ist aber, dass die erkrankten Pferde trotz ihres schlechten Allgemeinzustands normalen Appetit zeigen. Ein absolut charakteristisches Merkmal ist auch der dunkelrot/braun verfärbte Harn, der durch den beim Muskelabbau anfallenden Muskelfarbstoff Myoglobin entsteht.
Wenn Sie eines oder mehrere dieser Symptome beobachten, kontaktieren Sie so schnell wie möglich einen Tierarzt. Bringen Sie das Pferd in einen nahe gelegenen, trockenen und geschützten Unterstand oder eine Box. Gegeben falls sollte es mit dem Transporter in den Stall verbracht werden. Wichtig ist, dass das Pferd sich so wenig wie möglich bewegt! Messen Sie die Temperatur ihres Pferdes! Sollte diese unterhalb 37°C liegen, müssen Sie das Pferd zusätzlich mit Decken wärmen. Optimal wäre, wenn Sie eine Urinprobe Ihres Pferdes bekommen. Bereiten Sie einen Behälter vor und beobachten Sie ihr Pferd! Das Pferd darf trinken und bei einem normalen Fressverhalten Heu zu sich nehmen. Beobachten Sie daher das Schluckverhalten!
Die Therapie, die Ihr Tierarzt durchführen kann, ist immer nur eine symptomatische, das heißt das Pferd bekommt entzündungshemmende und schmerzlindernde Medikamente, Vitaminzufuhr, sowie Flüssigkeitstherapie. Gegen das Hypoglycin A gibt es leider kein Gegenmittel, das heißt man kann nur abwarten, bis der Körper das Gift abgebaut hat und hoffen, dass er sich nachher davon erholt. Leider schreitet die Krankheit sehr schnell voran (mittlere Überlebensdauer von 24 Stunden) und verläuft in mindestens 75% der Fälle tödlich. Daher bleiben die Vorbeugemaßnahmen noch immer das erste Mittel, um diese zerstörerische Krankheit zu vermeiden. Je früher diese Erkrankung festgestellt wird, desto höher sind die Chancen für erfolgreiche Therapiemaßnahmen.
Um eine eindeutige Diagnose zu erlangen, haben wir die Möglichkeit eine Blut- und Urinprobe Ihres Pferdes an ein externes Labor zu versenden, welches die Untersuchung auf Hypoglycin A anbietet. Die Diagnose ändert nichts an der Therapie Ihres Pferdes, ist aber entscheidend für den Schutz der anderen Pferde, die die gleiche Weide nutzen.
Die anderen Pferde, die sich auf derselben Weide befinden, sollten sofort in trockene Stallungen gebracht und beobachtet werden! Die betreffende Weide muss für alle Pferde gesperrt werden! Füttern Sie den Pferden im Stall von nun an viel trockenes Heu und zusätzlich Müsli zur ausreichenden oder ergänzenden Vitaminversorgung! Ebenso müssen die Pferde über 48 Stunden lang unter strenger Kontrolle gehalten werden. Wir empfehlen eine Blutuntersuchung bei allen Pferden, der Tierarzt kann so die entsprechenden Muskelwerte kontrollieren und weitere Erkrankungen frühzeitig erkennen oder ausschließen.
Um ihr Pferd vor dieser Erkrankung so gut wie möglich zu schützen, empfehlen wir Ihnen folgende Dinge zu beachten:
- Weidegang im Herbst auf weniger als 6 Stunden begrenzen, besonders nach den ersten Nachtfrösten, nachts aufstallen, v.a. Jungtiere
- Ihr Pferd gut zu Füttern (Heu guter Qualität, Kraft- und Mineralfutter)
- Trockenen Unterstand zur Verfügung stellen
- Weiden mit Baumbestand (v.a. mit jeglicher Art von Ahornbäumen) dringend meiden!
Sollten Sie noch weitere Fragen zum Erkrankungsbild oder den Vorbeugemaßnahmen haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung!